· 

Elternmagazin - Mama im Bild

Mama im bild

 

Elternmagazin, 11.2022

Autorin: Liza von Flodder

Bilder: sandsackfotografie 

Hier könnt ihr noch den Artikel und das Interview lesen, das Liza mit mir geführt hat.

MAMA WO WARST DU?

 

„Kannst du bitte ein Foto von mir machen?“, eine Frage die ich kaum höre und noch weniger sage aber die wir dringen öfter stellen sollten. Gerade wenn wir mit unseren Kindern im Sandkasten, auf dem Spielteppich oder auf der Parkbank sitzen. Denn, mal ehrlich: Wie viele Fotos gibt es von dir und deinen Kindern?

 

Vier Jahre nach der Geburt meines ersten Kindes, saß ich am Küchentisch und beklebte das Babyalbum. Jedes einzelne Foto ließ mich in Erinnerung schwelgen - Ein Bild von Opa mit Säugling auf dem Arm, eins mit der Tante unterm Weihnachtsbaum, das Baby mit dem Nachbarkind, der erste Brei von Papa gefüttert, die Katze und das Baby im Garten. Wie schön, dachte ich. Von allen, die das Kind liebhat, gibt es ein Foto mit ihm zusammen.

Die letzten Seiten des Albums hob ich mir für den ersten Geburtstag auf. Diese sollten mit bunt glitzernden Aufklebern dekoriert werden. Lächelnd breitete ich die übrig gebliebenen Fotos aus. Kuchen, Luftballons, jede Menge Plastikspielzeug, ein Berg an Geschenkpapier und die ganze Familie war da – das beweist das Gruppenfoto. Doch dann fiel es mir auf: Wo bin ich auf diesem Foto? Und auf all den anderen? Erschrocken blätterte ich zurück und realisierte, dass es von jeder Person und von jedem Ort eine Erinnerung gibt, außer von mir. Nicht mal an dem Tag an dem sich die Geburt meines Kindes jährt, gibt es ein Bild von dem Menschen den es auf die Welt gebracht hatte. Sogar die Katze hat einen Platz im Familienalbum! Ein ganzes Jahr auf 60 Seiten und ich tauchte auf keinem einzigen Foto auf, weil ich die Fotografin war. Weder ich, noch mein Kind wird jemals sagen können, welches Kleid ich bei seiner Geburtstagsfeier trug, wie grau meine Haare das Jahr hinweg wurden oder wie ähnlich wir uns sahen. Ich stelle mir vor, wie in zehn Jahren mein Kind das Album durchblättert und fragt „Mama, wo war du?“.

 

Meine Unsichtbarkeit im Fotoalbum machte mich traurig. Sie steht in keinem Verhältnis zu dem, was ich die letzten Jahre geleistet habe aber spiegelt meinen Stand in der Gesellschaft perfekt wider. Ich, die Mutter, die tragende Rolle der Familie, die unsichtbare Arbeit leistet, die es nicht zu würdigen gilt und einfach zu funktionieren hat[NS1] .

Doch denke ich an die Familienalben meiner Kindheit, erinnere ich mich an unzählige Fotos von meiner Mutter. Ich weiß ganz genau, welchen Overall sie im Winter trug und dass ihre Dauerwelle immer perfekt saß. Weil es diese Fotos von ihr gibt, die mein Vater mit seiner Spiegelreflexkamera

machte. Zu allen Feierlichkeiten packte er sie aus und legte einen neuen Film hinein. Es war ein unausgesprochenes Gesetz, dass jedes Mal ein Gruppenfoto gemacht werden musste, welches mit Selbstauslöser geschossen wurde. Und heute? Heute liegt das alte Teil auf dem Dachboden. Heute tragen wir alle eine kleine Kamera in unserer Hosentasche und benutzen sie um unser Mittagessen festzuhalten.

 

Ich schob das halbfertige Babyalbum beiseite und während ich Schere und Kleber aufräumte, fragte ich mich, ob ich ein Einzelfall bin. Lag das Problem nur bei mir und meinem Partner oder ist es ein neues gesellschaftliches Phänomen, dass Mütter heutzutage nicht mehr im Familienalbum zu sehen sind? So wie alles, was mich im Bezug auf Elternschaft verunsichert, tippte ich auch diese Fragen in die Suchmaschine ein. Meist ein fataler Fehler, doch in diesem Fall eine gute Entscheidung – ich lernte die dokumentarische Familienfotografin und Soziologin Natalie Stanczak kennen, die sich weitaus besser zu dem Thema auskennt als Google.

 

Natalie, du bist Soziologin und Fotografin. Inwieweit spielen diese Bereiche zusammen?

Allein schon der Akt des Fotografierens ist unter soziologischen Gesichtspunkten unglaublich interessant. Ein Mensch ist nie nur ein Individuum, sondern immer auch die Struktur, in der dieser Mensch lebt. Es ist die Verwobenheit. Das, was wir sehen und gezeigt bekommen, prägt unser Sein und unser Denken. Ich möchte mit meiner Fotografie sichtbar machen, was unsere Gesellschaft und Politik unsichtbar macht und gleichzeitig versuche ich auch neue Wege, Lebensrealitäten und Sichtweisen aufzeigen, mit dem Ziel, dass die Betrachtenden im besten Falle ihre eigene soziale Position reflektieren lernen, wissen, wo bestimmte Verhaltensweisen und Codes bei sich und bei anderen herkommen, einen bewussten Umgang mit den eigenen Privilegien kennenzulernen und diverse Diskriminierungsformen anzuerkennen. Bewusstsein schafft Betroffenheit. Und das wäre so wichtig in unserer Gesellschaft.

 

Und warum ausgerechnet Familienfotografie?

Ich habe mich immer nach Gerechtigkeit gesehnt und mich schon früh auch politisch engagiert. Mein Engagement war jedoch nie Thema meiner fotografischen Arbeit und ich habe lange nach einem Thema gesucht. Erst als ich Mutter wurde und Selbst- und Fremdbild so krass auseinanderklafften, sich strukturelle Ungleichheit und Erschöpfung die Hand gaben und ich vor allem nicht mehr verdrängen konnte, bekam ich diese intrinsische Motivation das Erlebte in meiner Fotografie zu verarbeiten und mich auch aktiv dafür einzusetzen den Status Quo zu zeigen. Vielleicht war es eine Art Flucht und Sprache zugleich.

Erst durch die Auseinandersetzung mit meiner eigenen Mutterschaft, mit den Herausforderungen und der Erschöpfung kam die Idee, diese dokumentarisch aufzuarbeiten und mit der Soziologie zu verbinden. Fotografie bedeutet für mich Zeitzeugin sein. Mein Weg politisch zu sein.

 

Du dokumentierst nicht nur andere Familien sondern auch deine eigene. Es gibt viele Selbstportraits von dir. Warum?

Noch vor ein paar Jahren hatte ich den Glaubenssatz, dass ich es nicht wert bin Fotos von mir selbst zu haben und zu machen. Dass es arrogant ist, sich selbst zu fotografieren, dass es peinlich ist, andere zu bitten von mir Fotos zu machen. Dadurch sind mir viele wichtige Bilder und auch Erinnerungen verloren gegangen.

Es hat lange gedauert bist ich den Wert hinter den Bildern gecheckt habe. Diesen Wert wirklich gefühlt habe. Dass ich es wert bin, dass es eben nicht um die Anderen geht, sondern um mich. Und meiner Mutterschaft. Ich brauche diese Bilder, um zu sehen, was hier eigentlich passiert. Mit mir, mit uns als Paar, mit uns als Familie, um uns herum. Um positive als auch schmerzhafte Erinnerungen zu verarbeiten. Diese Gefühle auch in meinen Erinnerungen zu zulassen hat irgendwie etwas Heilsames für mich.

Dein Job ist super abwechslungsreich – gibt es dennoch etwas, was du bei jedem Familienshooting beobachtest? Wiederkehrende Muster?

Das ist eine sehr interessante Frage, über die ich so noch nie nachgedacht habe. Ich muss als dokumentarische Familienfotografin in Vorleistung gehen, Ängste und Aufregungen nehmen, gut erklären, was ein dokumentarisches Familienshooting überhaupt bedeutet. Ich inszeniere die Familien nicht, ich gebe keine Tipps zu Outfits oder suche in der Wohnung nach schönen „Flecken“. Ich gehe mit dem Flow der Familie. Ich möchte den Alltag festhalten. Lachen, Kuscheln, Kochen, Essen, Schlafengehen, Familienrituale aber auch Trösten, Streiten, Wütend sein. Verbindungen, die uns als Familie ausmachen. Care-Arbeit sichtbar machen. Das bedeutet aber auch sich verletzlich zu zeigen vor mir, einer eigentlich „fremden“ Person. Das fällt vielen schwer und das verstehe ich zu 100%.

 

Wie siehst du das: Tauchen Mütter unserer Generation weniger im Familienalben auf, als die Generation davor?

Wissenschaftliche Artikel habe ich dazu noch keine gelesen aber im Gespräch mit Anderen erfahre ich immer wieder, dass in deren Kindheit vor allem die Papas die Kameras in der Hand hielten. Damals war fotografieren ein großes Privileg und nicht jede*r konnte einfach so eine Kamera bedienen und sich geschweige denn leisten. Auch in meiner Familie waren es die Opas und Papas, die sich mit der Technik auseinandersetzen und Fotos machten. Und das nur zu besonderen Anlässen. Ich denke durch Handys ist hier ein Wandel passiert und Fotografie wurde für viele erschwinglicher, schneller und einfacher zu handhaben. Und die Selfie Funktion ein Meilenstein für müde Mütter. 😉

Mir fiel erst nach einem Familienurlaub so richtig auf, dass ich auf keinem richtigen Foto zu sehen war und meine Kinder mich fragten, ob ich überhaupt dabei gewesen war. Als wäre der Papa alleine mit den Kindern im Urlaub gewesen. Ich habe darüber auf Instagram geschrieben und von sehr vielen Mütter ähnliche Erfahrungen gehört. So viele Reaktionen auf ein Thema gab es noch nie! Und so wurde eine Idee geboren: Die #mamawowarstdu Challenge auf Instagram, auf der ich regelmäßig dazu inspiriere, die eigene Mutterschaft zu einem bestimmten Thema zu reflektieren und ein Foto von sich selbst zu machen. Aber das das gar nicht so leicht ist, muss ich auch immer wieder erfahren, denn es ist ein großes Privileg, dafür überhaupt Raum und Zeit einfordern zu können. 

 

Hast du Wünsche für Mütter?

Ich wünsche mir, dass Care-Arbeit als das anerkannt wird, was es ist, nämlich die Basis einer jeden Gesellschaft und dass Mütter und Menschen mit Erziehungsverantwortung nicht dafür diskriminiert werden, dass sie Care-Arbeit leisten. Und deshalb auch Sichtbarkeit für deren Belange erhalten. Die Frage nach der Zukunft der Care-Arbeit ist immer auch eine Frage nach einem guten Leben für alle Menschen. Ja, ich wünsche mir ein gutes Leben für alle Menschen. Und ich wünsche jeder Mutter, einen Gutschein für eine Familiendokumentation für jede Familie. Denn Bilder zeigen eure Mutterschaft und machen so viel sichtbar. Sie zeigen euch. Eure Mutterschaft. Eure Care-Arbeit. Eure Liebe, eure Freude, eure Wut, euren Schmerz und eure tägliche Arbeit. Eure Verbindung. Diese Bilder werden Löcher stopfen. Erinnerungslücken füllen. Und wohl auch Erkenntnisse bringen.

 

Danke, Natalie. Kurz nach diesem Interview fand ich mich mit meiner Familie im Strandurlaub wieder, dachte an dieses Interview und forderte meinem Partner erst beschämt, dann wie selbstverständlich dazu auf, Fotos von mir zu machen. Ich habe mich dazu entschlossen, nicht mehr unsichtbar zu sein und freue mich über jedes Foto, auf dem zu erkennen ist, dass ich ein Teil dieser Familie bin.

"Nicht gesehen zu werden, nicht gehört zu werden, ist unerträglich. Weil es unsere Menschlichkeit infrage stellt."

 

ZITAT VON EMILIA ROIG AUS „WHY WE MATTER“


„Kunst ist Luxus, wenn man Mutter ist. Sich das überhaupt zu erlauben: Dinge zu tun, die auf den ersten Blick keinen kapitalistischen und kümmernden Sinn haben. Und auf den zweiten Blick auch nicht. Zeit ist Luxus.“

 

Zitat Mareice Kaiser